Wie in meinem Blogartikel „Yoga – ein Über-Ein-Blick“ erwähnt, gibt es im Yoga, besser gesagt in den heiligen Schriften des Yoga (s. Patanjali Yogasutra), auch eine Art „Verhaltenskodex“. Genau wie im Christentum, das dir in unseren Breiten vielleicht besser bekannt ist, gibt es auch hier 10 Regeln.
Diese Regeln werden aber im Unterschied dazu nochmals in 5 Regeln, die den Umgang mit dir selbst betreffen (Niyama) und 5 Regeln, die den Umgang mit den anderen (Yama) betreffen aufgeteilt. In meinen folgenden Blogartikeln werde ich mich schwerpunktmäßig mit einer dieser Regeln genauer befassen.
Heute habe ich mir Satya ausgesucht. Die Wurzelsilbe „Sat“ bedeutet Sein, Existenz, Wirklichkeit. Weiterführend ist Satya somit, was wirklich ist, das, was wahr ist oder auch die Wahrheit.
Die Wahrheit oder eben auch bekannt als „du sollst nicht lügen“ kann man als Verhaltensregel schon mal so stehen lassen. Nicht nur im Umgang mit den anderen, sondern auch mit einem selbst.
Authentizität als Wegbegleiter zur Erkenntnis
„Authentizität bezeichnet eine kritische Qualität von Wahrnehmungsinhalten (Gegenständen oder Menschen, Ereignissen oder menschliches Handeln), die den Gegensatz von Schein und Sein als Möglichkeit zu Täuschung und Fälschung voraussetzt.
Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden.
Die Scheidung des Authentischen vom vermeintlich Echten oder Gefälschten kann als spezifisch menschliche Form der Welt- und Selbsterkenntnis gelten. Zur Bewährung von Authentizität sind sehr weitreichende Kulturtechniken entwickelt worden, die die Kriterien von Authentizität für einen bestimmten Gegenstandsbereich normativ zu (re-)konstruieren versuchen.“
Wahrhaftig, authentisch, (selbst)kritisch und ehrlich zu sein, das klingt doch recht plausibel, so als Wegweiser auf dem Weg der Erkenntnis oder Erleuchtung. Aber warum wird diese Hürde gerne zum Stolperstein? Oder versuchen wir es anders – warum fällt es uns manchmal so einfach zu lügen, die Wahrheit ein bisschen auszuschmücken, Informationen oder Details zurückzuhalten oder die Dinge in die eigenen, vorteilhaften Bahnen zu lenken?
Was passiert, wenn es (mal) passiert und warum es passiert
Wenn wir nicht so ganz im Wahrheitsmodus laufen, dann handelt es sich meist um ein Manöver, ein Strategieprogramm, dass in uns in Bewegung kommt. Antriebe und Gründe dahinter gibt es einige, genauso wie Erklärungsansätze. Der populärste Grund ist wahrscheinlich die Angst.
Angst vor sozialer Ausgrenzung, vor dem Scheitern, finanzieller Benachteiligung, vor Konfrontation, zu seiner Meinung/seinem Wort stehen zu müssen, vor Verbindlichkeiten und Pflichten, uvm. Die Palette ist endlos und es treffen in einer Situation oftmals mehrere Faktoren zusammen.
Aber, wie wichtig ist es mir authentisch, wahrhaftig und ehrlich zu sein? Zu sein und nicht nur zu scheinen? Wie wichtig ist es mir, dass Menschen in meinem Umfeld authentisch sind? Zu ihrem Wort stehen, korrekt sind, zu mir und gegenüber anderen?
Ist es mir wichtiger ein Bild von mir selbst zu inszenieren oder halte ich es aus, das nach Außen zu zeigen, was da ist – nicht mehr und nicht weniger? Kann ich mich am Ende des Tages noch im Spiegel ansehen? Empfinde ich noch so etwas wie Moral, Ethik, Richtig und Falsch?
Vier Kriterien der Authentizität nach Kernis und Goldman
Die Sozialpsychologen Michael Kernis und Brian Goldman unterscheiden vier Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit man sich selbst als authentisch erlebt:
- Bewusstsein – Ein authentischer Mensch kennt seine Stärken und Schwächen ebenso wie seine Gefühle und Motive für bestimmte Verhaltensweisen. Dies setzt Selbsterkenntnis durch Selbst- und Fremdwahrnehmung und Selbstreflexion voraus, um sich seiner selbst und seines Handelns bewusst zu werden.
- Ehrlichkeit – Hierzu gehört, der ungeschminkten Realität, das eigene Selbst betreffend, ins Auge zu blicken und auch unangenehme Rückmeldungen zu akzeptieren.
- Konsequenz – Ein authentischer Mensch handelt nach seinen Werten und Überzeugungen. Das gilt für die gesetzten Prioritäten und auch für den Fall, dass er sich dadurch Nachteile einhandelt. Kaum etwas wirkt verlogener und unechter als ein Opportunist.
- Aufrichtigkeit – Authentizität beinhaltet die Bereitschaft, sein wahres Selbst, mit seinen positiven wie negativen Seiten, in sozialen Beziehungen offen zu zeigen und nicht zu verleugnen.
Ich stimme in jedem Punkt zu und gebe zu, in jedem Punkt genauso viel versagt zu haben. Aber was hat das nun mit Yoga zu tun?
Die Suche nach Authentizität in den Reihen des Yoga
Wie gesagt, in
den heiligen Schriften des Yoga, wird genauso hart mit der Wichtigkeit der Wahrhaftigkeit
und Authentizität abgerechnet, wie auch in anderen religiösen, ethischen und
philosophischen Strömungen.
Viele Yogalehrende, selbsternannte Gurus und Mentoren der Szene berufen sich
gerne, fortlaufend und wiederholend auf diese Schriften, haften sich „die“
Wahrheit und Authentizität mit Presslufttackern an ihre Fahnen. Prangern den rauen,
nur auf den eigenen Vorteil bedachten und manipulativen Politiker, Wirtschaftsmagnat
oder Angestellten im mittleren Management an und definieren sich am Ende des
Tages über selbstverliehene Sanskrit-Zwischennamen mit vermeintlicher Tiefgang-Bedeutung.
Dirty Business, dirty money
„Yoga ist kein Business“ klingt es hier
und „für Yoga“, einem
jahrtausendalten Wissen, „verlangt man kein Geld“ schallt es da.
„Yoga ist kein Sport“ – wer fit sein
möchte ist gleich out und wenn noch dazu die Leggins aus profaner Baumwolle vom
Bekleidungsgeschäft ums Eck kommt und nicht vom angesagtesten Ökolabel, ist
sowieso gleich Ende im Gelände.
„Im Yoga braucht es mehr Networking! Es
gibt keine Konkurrenten, sondern nur Mitbewerber. Lasst die Ellenbogentaktik hinter euch.“ – wird in Ausbildungen,
Workshops und Seminaren gepredigt und im selben Atemzug werden Beiträge von
anderen Yogalehrenden in den sozialen Medien ent-liked, dem anderen die Werbung
und steigende Teilnehmerzahlen missgönnt.
Und Yogis sind jetzt besser, weil…?
Aber was davon ist dann noch Yoga und was nicht? Was davon ist noch authentisch, echt, unverfälscht, ehrlich und gleichzeitig vielleicht „ich-hab-zu-wenig-Schüler“ bis hin zu „ich-bin-neidisch-weil-die-andere-Yogalehrerin-bessere-Ideen-hat-als-ich“? Wo drängt und manipuliert einen der Druck von außen und die Angst von Innen in die Unaufrichtigkeit, Täuschung, Lüge und Selbstinszenierung und unterwandert die persönlichen Werte, Moral und Ethik?
Weder Yoga, noch
die Yogaszene haben mir (mehr) Wahrhaftigkeit oder Authentizität gebracht,
sondern die Erkenntnis zur Selbsterkenntnis und die Einsicht, dass der Weg
dahin alles andere als einfach ist, dafür aber umso richtiger.
Ich habe hingeschaut – auf mich, meine Worte, mein Handeln (mir und anderen gegenüber),
meine Ängste und allen voran, meine Gedanken.
Was ich bin und was ich nicht bin
Ich akzeptiere alles was da ist und was kommt, denn es gehört zu mir. Ich klassifiziere es nicht als gut oder schlecht. Selbstreflektierend erkenne ich, dass die Ursache bei mir liegt und nicht beim anderen. Es macht mich zu keinen „besseren“ oder „schlechteren“ Menschen oder Yogi. Ich bin deshalb nicht mehr oder weniger authentisch oder wahrhaftiger als andere Menschen. Ich besinne mich auf mich selbst, richte meine Aufmerksamkeit auf mich, versuche meinen Weg zu gehen und mir treu zu bleiben.
Als Yogalehrende ist es nicht meine Aufgabe dir dein Leben, dein Denken, deine Vorstellung von Moral, Ethik, Werten und Wahrheit zu erklären. Wenn ich aber den Anspruch darauf erhebe, Yoga als Lebenseinstellung (vor) zu leben, dann ist es mein höchstes Credo am Boden, authentisch, ehrlich und echt zu bleiben.
Ich inszeniere mich nicht in einer Dunstwolke aus adaptierten Lebensweisheiten anderer, predige dir keinen Lifestyle und eine Grundhaltung, die ich selbst nicht aufrechterhalten kann.
Verblendung
Auch wenn sich viele Yogis, Mentoren, Gurus, Swamis, usw. vom profanen Lebensirrläufer des Bevölkerungsdurchschnitts differenziert, vielleicht sogar erleuchtet sehen, so haben uns andere wiederum auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.
Die Verblendung,
der Irrweg, sie beginnen alle bei einem selbst.
Auch wenn es noch so unbequem ist, genau darauf ist der Fokus der
Aufmerksamkeit zu richten und da sollten auch die sicher gut gemeinten und von
Herzen gepredigten Ratschläge bleiben – letzten Endes bei einem selbst.
Quellen und
weiterführende Links:
Satya, Begriffsdefinition und -klärung, Wiki YogaVidya
Niyama, Begriffsdefinition und
-klärung, Wiki YogaVidya
Yama,
Begriffsdefinition und -klärung, Wiki YogaVidya
Patanjali, Begriffsdefinition
und -klärung, Wiki YogaVidya
Yogasutra, Begriffsdefinition
und -klärung, Wiki YogaVidya
Dare
to Be Yourself by Karen Wright, Psychology Today, May 2008
Authentizität,
Begriffsdefinition, Wikipedia
Authentizität: Die Kunst
authentisch zu sein von Jochen Mai, Karrierebibel, April 2013
Authentizität
als Frage der Unternehmenskultur, Hamburger Berater Contor